#ModernDermatology: das Konsil des künstlichen Kollegiums
Autor:innen:
Prof. Dr.med. Dr.sc.nat. Alexander Navarini
Chefarzt Dermatologie und Allergologie
Universitätsspital Basel
Herausgeber Leading Opinions Dermatologie & Plastische Chirurgie
E-Mail: alexander.navarini@usb.ch
Dr.med. Elisabeth Gössinger
Abteilung für Dermatologie
Universitätsspital Basel
E-Mail: elisabeth.goessinger@usb.ch
Schneller, besser, angenehmer: So soll die Dermatologie nach Einsatz verschiedener Techniken der künstlichen Intelligenz (KI) in Zukunft aussehen. Beispiele aus der Praxis zeigen, wie mithilfe der KI einfachere Dokumentation und Unterstützung bei der (Differenzial-)Diagnose möglich ist.
Keypoints
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Derzeit läuft ein Projekt zur AI-Möglichkeit, Ärzt:innen möglichst viel Schreibarbeit abzunehmen («Whisper»-Modell von OpenAI).
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Bildgebende Systeme können eine dermatologische Untersuchung mit einem Dermatoskop unterstützen, derzeit jedoch nicht vollständig ersetzen.
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Die visuelle Dokumentation in standardisierter Form schreitet voran. Damit kann auch die KI besser trainiert werden, mit zunehmender diagnostischer Genauigkeit.
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Die Ganzkörperfotografie-Systeme werden sich weiterentwickeln; möglicherweise entstehen sogar neue Systeme, die völlig unabhängig Nahaufnahmen von Läsionen dokumentieren können.
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Der Einsatz von neuen Technologien sollte anhand von klinischen Studien stets kritisch evaluiert werden.
Angesichts der sehr raschen Entwicklungen in der Dermatologie, etwa durch die immer grössere Zahl systemischer Therapien, ist es unerlässlich, sich als Arzt oder Ärztin auf den Einsatz moderner Lernmethoden («modern learning») und auf die künstliche Intelligenz (KI) einzustellen.
«Modern Learning»
Ein ausgezeichnetes Beispiel für #ModernLearning ist der YouTube-Kanal des US-amerikanischen DermatologenJerad Gardner, MD, der dort mehr als 1000 lehrreiche Videos hochgeladen hat. Ausschliessliches Online-Lernen ist allerdings der falsche Weg: In Basel gibt es beispielsweise zweimal pro Woche die Mittagsvisite mit Assistenz- und Oberärzt:innen, die sich um Patient:innen scharen, oder auch Fortbildungen am Mikroskop anhand von Slides mit dem Leiter der Dermatopathologie – das lässt sich online nicht wirklich reproduzieren.
Künstliches Ergänzen der klinischen Praxis – inklusive Tippfehlern
Wie kann die KI den Klinikalltag unterstützen? Ein grosser Bereich ist der Abbau der doch recht ungeliebten Administration, auch als «Stapel von Patientenakten» bekannt und gefürchtet. In unserer Baseler Klinik läuft dazu ein Projekt «weniger Admin – mehr Klinik», wobei in der ersten Phase A im Rahmen eines Patientengesprächs nur noch die wichtigsten Punkte schriftlich an einem Gerät notiert werden, gerne auch mit vielen Rechtschreib- oder Tippfehlern. Nach Einspeisen in ein «large language model» (LLM; wie etwa Chat-GPT) wird daraus innerhalb weniger Sekunden entweder ein Arztbrief oder ein Bericht für den Patienten, inklusive Informationen zu Diagnose, Behandlung, wichtigen Punkten und Kontaktmöglichkeiten. In Phase B nimmt ein System das Gespräch mit einer Patientin selbst auf und transkribiert das Gesagte automatisch (108 Sprachen einschliesslich Schwyzerdütsch sind verfügbar), mit erstaunlich wenigen Fehlern. Das ist zwar noch ein Forschungsprojekt, doch könnten wir in Zukunft tatsächlich darauf verzichten, überhaupt etwas notieren zu müssen.
AI für Diagnose und Differenzialdiagnose
So weit zur Dokumentation. Wie sieht es mit dem Fällen medizinischer Urteile aus? Eine – vermutlich durchaus bekannte – Studie zeigt z.B., dass Chat-GPT alle vier Teilprüfungen der USMLE («United States Medical Licensing Examination») geschafft hat. Schockierend, aber wahr: Chat-GPT ist fast schon als Kollege zu betrachten.1
In Basel wurde die diagnostische Fähigkeit eines «language models» anhand eines Patientenfalls näher beleuchtet: ein 14-jähriger Patient mit geröteten, schuppenden Plaques über den Streckseiten der Extremitäten, auch im Bereich der Hand- und Fingerstreckseiten, sowie mit neu aufgetretenen proximalen Muskelschmerzen im Bereich der oberen Extremitäten. Wir erhielten hier wirklich die solide Diagnose einer juvenilen Dermatomyositis. Auch weitergehende Informationen sind in diesem System möglich, so werden beispielweise auch bezüglich der folgenden Diagnoseschritte oder der Aufschlüsselung Dermatomyositis-spezifischer Antikörper medizinisch korrekte Antworten geliefert. Ein Caveat an dieser Stelle: Man muss natürlich trotzdem sehr vorsichtig sein, da «language models» auch konfabulieren können.
Künstliches Hautkrebs-Screening statt fotografischen Gedächtnisses?
Allerdings ist die Dermatologie hauptsächlich kein schriftliches, sondern ein visuelles Fach. Ein gutes Beispiel für den Einsatz der KI ist dementsprechend das Hautkrebs-Screening. Für dieses Screening sind schon jetzt ausgezeichnete Werkzeuge wie die digitale Dermatoskopie verfügbar, und diese kann auch bereits zur Beurteilung der Dynamik von Malignomen eingesetzt werden, was bislang schon zur besseren Erkennung von dünneren Melanomen geführt hat und vor allem für Hochrisikopopulationen von Nutzen ist. Jedoch wäre es vorteilhaft, wenn wir auch alle Läsionen eines Patienten/einer Patientin zu einem früheren Zeitpunkt sehen könnten, um sie mit aktuellen Läsionen vergleichen zu können – bislang bräuchte man dafür ein fotografisches Gedächtnis.
Die Ganzkörperfotografie mit künstlicher Intelligenz erlaubt genau das: die Einstufung, ob eine Läsion neu ist oder Veränderungen zeigt. In der Praxis sieht es so aus, dass ein Scanner mit 92 Kameras ein Foto vom Patienten/von der Patientin erstellt und innerhalb von fünf bis sieben Minuten einen 3D-Avatar konstruiert, auf der man in sehr guter Auflösung die Haut begutachten kann. Das zeigt auch der Fall eines 47-jährigen Patienten mit In-situ-Melanom in der Anamnese sowie positiver Familienanamnese für ein Melanom, bei dem das makroskopische Bildzunächst nicht wirklich besorgniserregend scheint (Abb. 1). Aufgrund der Dynamik im automatischen Ganzkörper-Bildvergleich und der Dynamik erfolgte der Entschluss, diese Läsion mittels Stanzexzision zu entfernen – und es handelte sich tatsächlich um einIn-situ-Melanom, was uns sehr überrascht hat. Hochrisikopatient:innen mit einer grossen Anzahl an Nävi, wo es quasi darum geht, die Nadel im Heuhaufen zu suchen: Diese Patient:innen möchten wir ohne visuellen Vergleich fast nicht mehr untersuchen.
Abb. 1: Einsatz von KI bei einem Patienten, bei dem das makroskopische Bild (links) auf den ersten Blick nicht besorgniserregend erscheint
Knackpunkte: variable Risikowerte und geringe Spezifität
Allerdings sollten sich jedes neue System und jede neue Technologie auch einer kritischen Bewertung unterziehen – optimal wäre eine Untersuchung im Rahmen klinischer Studien, um die Benefits und die Drawbacks besser feststellen zu können. Aus der bisherigen Erfahrung an der Klinik Basel haben sich einige Aussagen herauskristallisiert: Erstens war zu beobachten, dass die in der digitalen Dermatoskopie angegebenen Risikowerte bei wiederholten, aufeinanderfolgenden Aufnahmen variieren können. Das bedeutet, man nimmt die Kamera, setzt sie auf den Patienten an, entfernt sie und wiederholt die Aufnahmen ohne absichtliche Rotation. Wir haben das für 116 Läsionen fünfmal hintereinander durchgeführt und nachfolgend in verschiedenen klinischen Szenarien untersucht. Die Kernaussage der Risikowerte war, dass es teilweise eine Varianz gibt, die sogar dazu führt, dass die Dignitätsbeurteilung eine andere war.2 Diese Daten wurden dem Hersteller eines dieser Systeme bereits mitgeteilt – der neueste Algorithmus ist mittlerweile weiterentwickelt worden, um diese Fehler zu minimieren.
Nächster Knackpunkt: Sensitivität und Spezifität der Melanomerkennung in einer Hochrisikopopulation. Die Sensitivität der Ganzkörperfotografie wird nicht beanstandet, sie ist ident mit jener von Dermatolog:innen, wie die Ergebnisse einer Subkohorte einer grösseren Studie zeigen.3 Allerdings ist die Spezifität deutlich geringer, der alleinige Einsatz der AI würde daher zu unnötigen Exzisionen führen.
Das ist auch eine Herausforderung bei sehr populären Apps, wie eine klinische Studie zum Einsatz der «SkinVision»-App zeigte (die beliebteste dermatologische App in der Europäischen Union): Demnach würde der Einsatz dieser App zu 27-mal mehr falsch positiven Melanomdiagnosen führen als in der dermatologischen Praxis.4 Eine unglaublich hohe Zahl unnötiger Exzisionen. Ziel der App ist es natürlich, kein Melanom zu übersehen und ausserdem zu erreichen, dass die Patient:innen ihre Läsionen regelmässig hautärztlich begutachten lassen. Bei der Entwicklung dieser Apps ist man daher immer auf der vorsichtigeren Seite.
Moderne Untersuchungsmethoden
Beim Punkt moderne «diagnostic measures» sind einige neue Untersuchungsmethoden zu nennen. Zum Beispiel NanoString: Das sind Transkriptionsprofile, aus denen ersichtlich wird, ob die T-Zellen in einer Läsion eher vom Typ TH1 und TH2 sind bzw. welche Zytokine sie produzieren, was bei der Auswahl des am besten geeigneten Biologikums helfen kann. Auch die konfokale Mikroskopie ist hier zu nennen, die als diagnostisches «Super-Werkzeug» gilt und bereits jetzt in vivo Untersuchungen von Gewebe ermöglicht.
«Big Data» haben ebenfalls sehr viel Potenzial, um in der Zukunft Subgruppen verschiedener Dermatosen identifizieren zu können, die vielleicht eher von zuerst der einen als von der anderen Behandlung profitieren. Auch dazu laufen bereits Studien. Letztendlich geht es bei der künstlichen Intelligenz aber um das Ziel, neben der Verbesserung der diagnostischen Genauigkeit vor allem auch den klinischen Alltag einfacher und effizienter zu gestalten, damit wir alle besser, schneller und angenehmer arbeiten können.
Kombination aus Mensch und Maschine bevorzugt
Von allen Keymessages unserer Sitzung zur «Modernen Dermatologie» am SGDV- Jahreskongress 2024 ist die folgende vermutlich am wichtigsten: Patient:innen bevorzugen ganz klar eine Kombination aus Mensch und Maschine, aus Dermatolog:innen plus künstlicher Intelligenz. Dieses Ergebnis stammt aus einer Befragung von Patient:innen, nachdem sie sich einem Hautkrebsscreening mit zunächst einer dermatologischen Untersuchung unterzogen und im Anschluss eine 2D- und 3D-Ganzkörperfotografie durchgeführt wurde.5 Das ist eine sehr wichtige Botschaft für die Zukunft: Wir werden nicht alle durch künstliche Intelligenz ersetzt werden, sondern diese Systeme sind dazu da, uns in unserem Beruf zu helfen, unsere diagnostische Genauigkeit zu verbessern und unsere Arbeit auch effizienter zu gestalten. Genauso möchten es auch die Patient:innen, denn es braucht immer noch eine menschliche Komponente, um diese Resultate zu kommunizieren und zu bewerten.
Literatur:
1 Kung TH et al.: Performance of ChatGPT: Potential for AI-assisted medical education using large language models. PLOS Digit Health 2023; 2(2): e0000198 2 Goessinger EV et al.: Consistency of convolutional neural networks in dermoscopic melanoma recognition: A prospective real-world study about the pitfalls of augmented intelligence. J Eur Acad Dermatol Venereol 2023; 38(5): 945-53 3 Cerminara SE et al.: Diagnostic performance of augmented intelligence with 2D and 3D total body photography and convolutional neural networks in a high-risk population for melanoma under real-world conditions: A new era of skin cancer screening? Eur J Cancer 2023; 190: 112954 4 Jahn AS et al.: Over-detection of melanoma-suspect lesions by a ce-certified smartphone app: performance in comparison to dermatologists, 2d and 3d convolutional neural networks in a prospective data set of 1204 pigmented skin lesions involving patients’ perception. Cancers 2022; 14(15): 38 5 Goessinger EV et al.: Patient and dermatologists’ perspectives on augmented intelligence for melanoma screening: A prospective study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2024; doi: 10.1111/jdv.19905
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