Pharmakotherapie bei der Frau, bei Schwangeren und Stillenden
Autorin:
Prof. Dr.pharm. Ursula von Mandach
Präsidentin
Schweizerische Akademie für Perinatale Pharmakologie (SAPP)
Zürich
E-Mail: info@sappinfo.ch
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Die Gabe von Medikamenten bei Frauen, insbesondere bei Schwangeren und Stillenden, erfordert eine sorgfältige Überlegung und Abwägung, da sie nicht nur die Gesundheit der Frau, sondern auch die ihres ungeborenen oder gestillten Kindes beeinflussen können. Die Forschung in diesem Bereich voranzutreiben und die Ergebnisse in die Praxis zu übertragen, ist daher von grosser Bedeutung.
Die Physiologie
Tatsächlich sind die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau vielfältiger, als wir lange Zeit angenommen haben, wir sprechen deshalb oft von einem Spektrum. Neben dem biologischen Geschlecht berücksichtigen wir auch im Bereich der Pharmakotherapie zunehmend das soziale Geschlecht. Es ist beispielsweise für die Ergebnisse einer klinischen, aber auch epidemiologischen Studie entscheidend, wie die Population zusammengesetzt und wie und wo sie sozialdemografisch angesiedelt ist.
Dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen, insbesondere wenn sie schwanger sind, Medikamente benötigen, ist eigentlich selbstverständlich. Das Wissen um medikamentöse Therapien aus Pflanzen und ihren Nutzen für Frauen und speziell Schwangere, geht in unseren Breitengraden bis mindestens ins Mittelalter und in älteren Kulturen (Persien, Arabien) bis weit vor Christus zurück. Heute nimmt jede Schwangere mindestens ein Medikament ein, bereits seit mehr als zehn Jahren kommen auf jede zweite Schwangere (in unseren Breitengraden) mindestens vier Medikamente (Vitamine und Mineralstoffe nicht mitgezählt).1,2 Als bedeutendster Faktor für den Gebrauch von Medikamenten in der Schwangerschaft ist sicher das zunehmende Alter von Schwangeren zu nennen. Dadurch bedingt hat man es mit mehr Vorerkrankungen zu tun und es kommt zu mehr Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf. Trotz des steigenden Medikamenteneinsatzes bei Schwangeren und Stillenden haben wir zwei Situationen, die uns zum Nachdenken und zu entsprechendem Handeln zwingen, nämlich einerseits den «off-label use» und andererseits die Tatsache, dass viele «alte» Medikamente auf dem Markt sind. Wir benötigen jedoch sichere Medikamente für Frauen in jeder biologischen Lebensphase. Dazu müssen Frauen, Schwangere und Stillende in klinische Studien eingeschlossen werden. Noch vor 40 Jahren war der männliche, gesunde Proband zwischen 20 und 30 Jahren der Prototyp, mit dem man klinische Studien durchgeführt hat. In den USA empfahl die «Food and Drug Administration» (FDA) 1977 den Ausschluss von Frauen im gebärfähigen Alter aus Studien – wohl immer noch unter dem nachklingenden Trauma des Thalidomid-Skandals 1960. Es dauerte knapp 30 Jahre, bis die FDA 2015 ihre Richtlinien so ausweitete, dass Frauen und Männer separat zu beurteilen seien.3 Immer mehr Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) bei Frauen führten dazu, dass der Ruf nach Gendermedizin auch in Europa immer lauter wurde. Damit war endlich die Basis geschaffen, dass bei den Frauen die Schwangeren als spezielle Gruppe betrachtet werden.
Tabelle 1 zeigt die wichtigsten Unterschiede zwischen Mann und Frau sowiezwischen Nichtschwangeren und Schwangeren, die sich auf die Pharmakokinetik von Medikamenten auswirken können. Ganz bedeutend ist der Einfluss der vermehrten Produktion der weiblichen Sexualhormone durch die Plazenta, die sich auf die Absorption und den Metabolismus auswirken können. Wichtig sind auch die Unterschiede im Anteil von Fett, Muskulatur und Blutvolumen, die auf die gesamte Verteilung eines Arzneimittels einen enormen Einfluss haben. Letztlich ist auch die Zunahme von Blutfluss, Herzleistung und Nierenfunktion zu nennen, welche die Elimination beeinflusst.4 Einer der Ersten, der die Physiologie als Grundlage für das Verständnis der Pharmakotherapie bei Schwangeren gesehen hat, war Frank Hytten. Seine Untersuchungen zur Steigerung der glomerulären Filtrationsrate bei Schwangeren um etwa 80% stammen bereits aus dem Jahr 1975.5 Eine der wichtigsten Medikamentengruppen, bei denen aufgrund eines veränderten Metabolismus bei der Schwangeren eine Dosisanpassung erforderlich wird, sind die Antibiotika. Sie werden in der Schwangerschaft rascher ausgeschieden, und um die minimale Hemmkonzentration zu halten, braucht es eine entsprechend höhere Dosierung.
Tab. 1: Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Nichtschwangeren und Schwangeren, die sich auf die Pharmakokinetik von Medikamenten auswirken können. Nach Eke AC4
Anpassungen benötigt es aber auch bei vielen anderen Medikamenten wie Psychopharmaka, Analgetika, Antihypertonika, Antidiabetika und Antikoagulanzien, um nur einige wichtige zu nennen (siehe auch Beitrag «Praktische Dosierungsanpassungen in Schwangerschaft und Stillzeit» von Andrea Burch und Verena Gotta).6,7
Mehr als Gender
Um die Komplexität der Vorgänge bei einer medikamentösen Therapie in der Schwangerschaft zu erfassen, muss neben der veränderten Physiologie der Frau auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass wir zwei Individuen gleichzeitig behandeln und die Therapie daher stets sicher und nebenwirkungsarm sowohl für die Mutter als auch das Kind sein muss. Sehr vereinfacht gibt es – ohne auf die Differenzierung von tiefen Kompartimenten einzugehen – drei Verteilungsräume für Arzneistoffe (Abb. 2). Im Idealfall müssen wir wissen, ob und von welchem Gestationsalter an eine Substanz metabolisiert wird und wann eine Substanz beim ungeborenen Kind überhaupt eine Wirkung auslöst. Solche Untersuchungen sind jedoch in vivo oftmals nicht oder nur in beschränktem Masse durchführbar.
Abb. 2: Verteilungsräume und ihre Determinanten
Kann das Ungeborene aufgrund einer noch nicht ausgereiften Leberfunktion nichts metabolisieren, bleibt die Muttersubstanz lange in seinem Kreislauf. Löst diese jedoch aufgrund fehlender Rezeptoren keine Wirkung aus, ist die Dynamik noch gar nicht ausgeprägt, sodass selbst eine sehr hohe Konzentration an Arzneistoff im fetalen Blut unbedeutend ist. Kommt es doch zu Fehlbildungen, ist vordergründig das muskuloskelettale System betroffen. Damit assoziert sind v.a. Neurologika und Psychopharmaka. Beim gestillten Säugling ist die Situation ähnlich, aber nicht gleich, denn primär ist die Muttermilch von den verschiedenen Einflüssen betroffen und das Kind selber erst, wenn es von dieser Milch trinkt, womit wir hier im Unterschied zur Schwangerschaft in der komfortablen Lage sind, mit einem Stillunterbruch oder einem Stillabbruch die Einflussnahme zu unterbinden.
Was wir benötigen
Bei der Population der Schwangeren und Stillenden benötigen wir trotz der komplexen, sich im Verlauf der Schwangerschaft und postnatal verändernden Vorgänge eine sichere und wirksame Behandlung.8 Die FDA hat dies erkannt und 2018 einen Draft für eine Leitlinie verfasst («Task Force on Research Specific to Pregnant Women and Lactating Women»),9 in dem sie auch die Wichtigkeit eines Netzwerks betont, welches solche Inhalte ausarbeitet. In der Schweiz hat diese Aufgabe die interprofessionelle Schweizerische Akademie für Perinatale Pharmakologie (SAPP) übernommen.
Neben der Wichtigkeit, die Forschung anzustossen, Wissen zu sammeln und zu fördern, ist es zentral, die Erkenntnisse in die Praxis zu bringen. Niemand, weder in der Arztpraxis, in der Apotheke noch in der Klinik, hat Zeit, diesem Wissen aus verschiedenen Quellen, die zudem oftmals nicht die Situation in unserem Land widerspiegeln, «nachzuspringen». Bisher hat das Netzwerk der SAPP ein Verzeichnis mit Präparaten, Dosierungen und Applikationsart dem Verbraucher an der Front zur Verfügung gestellt, das im Fachkompendium AmiKo ( https://amiko.oddb.org/de/fulltext?id=80dfeafcda&key =SAPP ) abrufbar ist und in naher Zukunft hoffentlich von der öffentlichen Hand getragen und frei zugänglich gemacht wird.
Literatur:
1 Haas DM et al.: Prescription and other medication use in pregnancy. Obstet Gynecol 2018; 131(5): 789-98 2 Mitchell AA et al.: Medication use during pregnancy, with particular focus on prescription drugs: 1976-2008. Am J Obstet Gynecol 2011; 205(1): 51.e1-8 3 Carey JL et al.: Drugs and medical devices: adverse events and the impact on women’s health. Clin Ther 2017; 39(1): 10-22 4 Eke AC: An update on the physiologic changes during pregnancy and their impact on drug pharmacokinetics and pharmacogenomics. J Basic Clin Physiol Pharmacol 2021; 33(5): 581-98 5 Davidson JM, Hytten FE: The effect of pregnancy on the renal handling of glucose. Br J Obstet Gynaecol 1975; 82(5): 374-81 6 Balon M et al.: Adverse drug reactions in pregnant women: Do they differ from those in non-pregnant women of childbearing age? Therapue 2023; 78(2): 165-73 7 Coppola P et al.: Use of physiologically based pharmacokinetic modeling for hepatically cleared drugs in pregnancy: regulatory perspective. J Clin Pharmacol 2023; 63 Suppl 1: S62-80 8 Pinheiro EA, Stika CS: Drugs in pregnancy: Pharmacologic and physiologic changes that affect clinical care. Semin Perinatol 2020; 44(3): 151221 9 Task Force on Research Specific to Pregnant Women and Lactating Women (PRGLAC): PRGLAC Report Implementation Plan. PRGLAC 2020; verfügbar unter https://www.nichd.nih.gov/sites/default/files/inline-files/PRGLAC_Implement_Plan_083120.pdf (zulezt aufgerufen am 31.1.2024)
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