
Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel
Autorin:
Priv.-Doz. Dr. Petra Zieglmayer
Department für Allgemeine Gesundheitsberufe
Kompetenzzentrum für Allergologie und Immunologie
Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften
Krems
E-Mail: petra.zieglmayer@kl.ac.at
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Ungefähr 10% der Allgemeinbevölkerung berichten von unerwünschten Arzneimittelreaktionen, welche sich allerdings nur in weniger als 10% der Fälle diagnostisch verifizieren lassen. Mittels adäquater Diagnostik lässt sich somit in über 90% der Fälle eine immunologisch mediierte Überempfindlichkeit ausschließen.
Keypoints
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Medikamentenallergien sind überdiagnostiziert.
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Eine präzise Anamneseerhebung erlaubt die Abschätzung einer Kausalität und erforderlicher diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen.
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Nach Möglichkeit sollen standardisierte und validierte Testverfahren eingesetzt werden.
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Der Provokationstest ist nach Nutzen-Risiko-Abwägung bis heute Goldstandard.
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Ein Allergiepass hat Konsequenzen, daher sollte bei behaupteten Allergien gegen Betalaktamantibiotika ein Delabeling angestrebt werden.
Von Betroffenen berichtete Arzneimittelunverträglichkeiten beziehen sich in etwa 40% der Fälle auf Antibiotika (v.a. Penicilline), in 28% der Fälle auf nichtsteroidale Antiphlogistika (primär Diclofenac) und in 11% der Fälle auf Lokalanästhetika.1 In der Zuordnung zu einem putativen Pathomechanismus ist zu differenzieren zwischen einer Typ-A-Reaktion (vorhersehbare, durch das Arzneistoff-typische pharmakologische Wirkprofil mediierte klinische Reaktion) und einer Typ-B-Reaktion (Überempfindlichkeitsreaktion, individuell und nicht vorhersehbar, nicht mit dem pharmakologischen Wirkprofil erklärbar). In der Typ-B-Reaktion sind 2 Formen zu unterscheiden: die Arzneimittelallergie, die auf einer immunologischen Reaktion nach Coombs und Gell beruht, und eine nicht immunologische Arzneimittelüberempfindlichkeit, bei der ein allergischer Reaktionsmechanismus nicht nachweisbar ist. 76% der unerwünschten Arzneimittelreaktionen sind typische pharmakologische Nebenwirkungen; hierzu zählen auch Reaktionen infolge einer Überdosierung. Nur ungefähr 13% der Fälle lassen sich als Intoleranzreaktion klassifizieren.2
Pathomechanismen
Die Latenz der Reaktionszeit nach der Arzneimittelanwendung erlaubt nur eine ungefähre Abschätzung des Reaktionstyps: So kann es sich bei Auftreten einer unerwünschten Arzneimittelreaktion innerhalb von 6 Stunden um eine Typ-1-allergische IgE-vermittelte Reaktion handeln; bei dieser muss allerdings im Zuge einer vorherigen Exposition bereits eine Sensibilisierung stattgefunden haben. Alternativ kommt auch eine nichtimmunologische Überempfindlichkeit infrage, welche ebenfalls innerhalb von 12 Stunden auftritt. Bei einer zeitlichen Reaktionslatenz von mehr als 6 Stunden ist ein zellulärer Reaktionsmechanismus wahrscheinlicher. Wobei hier in Abhängigkeit von der Klinik eine lokale Typ-4-Reaktion nach Coombs und Gell, also eine T-Zell-vermittelte Kontaktallergie, genauso möglich ist wie bei einer Reaktionszeit ab 24 Stunden nach Exposition eine systemische Typ-2- oder Typ-3-Reaktion, die IgG-, IgA- oder IgM- vermittelt sein kann. Ebenfalls denkbar sind klinische Beschwerden infolge einer direkten Immunstimulation von Entzündungszellen durch Wirkstoffrezeptoren oder Arzneimittel-Enzym-Wechselwirkungen, früher als Pseudoallergie bezeichnet, bzw. eine pharmakologische Interaktion mit T-Zell-Rezeptoren.3 Klinisch unterscheiden sich die Reaktionen ganz wesentlich im Abhängigkeit vom zugrunde liegenden Pathomechanismus.
Wann ist eine Abklärung sinnvoll und notwendig?
Abklärungsbedürftig sind jedenfalls urtikarielle beziehungsweise anaphylaktische Reaktionen, die innerhalb von ein bis 6 Stunden nach Arzneimittelzufuhr auftreten, sowie Ekzeme, die sich als Spätreaktionen mehrere Stunden bis Tage nach der Arzneimittelanwendung etablieren; diese sind meistens makulopapulös, wobei hier der Kopf sowie Hand- und Fußflächen ausgespart bleiben. Bei Erstkontakt mit einem Arzneistoff treten zelluläre Reaktionen mit einer typischen Sensibilisierungslatenz von 7 bis 10 Tagen auf, immunmediierte Reaktionen fallen stärker aus als nichtimmunologische Symptome.
Typische Gefahrensignale dürfen nicht übersehen werden: Hierzu zählen das plötzliche Auftreten von Multiorgansymptomen wie beispielsweise Atemnot und Blutdruckabfall, welche auf einen anaphylaktischen Schock hindeuten, weiters eine akut auftretende inspiratorische Dyspnoe, eine Dysphonie oder eine Sialorrhö, die typisch für ein Larynxödem sind, außerdem mit Latenz auftretende Schmerzen der Haut, atypische Hautläsionen und Erosionen der Mukosa, die auf ein Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) oder eine toxische epidermale Nekrolyse (TEN) hinweisen. Hierbei finden sich außer den Hautveränderungen ein Nikolski-Zeichen, abnormale Befunde im weißen Blutbild wie beispielsweise eine Leukopenie und eine Thrombopenie und ein Abfall der Nierenfunktion. Mit einer Latenz von 1–4 Wochen auftretendes Fieber über 38,5 Grad, Lymphadenopathie und generalisierte Hautaffektionen, die mehr als 50% der Hautfläche betreffen können, sowie zentrofaziale Ödeme deuten auf ein DRESS(„drug rash with eosinophilia and systemic symptoms“)-Syndrom hin, das mit einer Mortalität von 10% verbunden ist.
Zur hämatologischen Abklärung gehören ein Leberfunktionstest, ein Blutbild und eine Harnanalytik zum Nachweis einer Proteinurie. Eine Vaskulitis tritt ebenfalls mit zeitlicher Latenz auf und manifestiert sich mit einer Purpura und konsekutiven Hautnekrosen: Auffällig sind hier auch die Blutbefunde im Sinne einer Thrombozytopenie, einer reduzierten Nierenfunktion mit Proteinurie und Harnstoff- und Kreatininanstieg sowie eine Hypokomplementämie.
Für die klinische Routine sind als typische Gefahrensignale zu bewerten: Blasen- oder Pustelbildung, Ablösung oder Absterben der Haut, weiters Hauteinblutungen, Erythrodermie, Beteiligung der Schleimhäute, schlechter Allgemeinzustand und allgemeine Lymphknotenschwellung.4
Der Schweregrad einer Arzneimittel- Überempfindlichkeitsreaktion wird nicht nur durch pharmakologische Faktoren wie Eigenschaften der Substanz, Expositionsmenge und Applikationsroute, sondern auch durch Parameter wie Alter, Geschlecht, genetische Faktoren des Patienten sowie interkurrente infektiöse und nichtinfektiöse Erkrankungen und vorangegangene Arzneimittelreaktionen beeinflusst.5 Eine Urtikaria im Kindesalter tritt infektassoziiert in jedem Alter bei bis zu 50% der Kinder auf und wird doppelt so häufig durch virale Infektionen wie durch die Substanz an sich verursacht.6
Diagnostik unerwünschter Arzneimittelreaktionen
Diagnostisch abgeklärt werden sollen nur Typ-B-Reaktionen, idealerweise in einem Zeitfenster von 4 Wochen bis 6 Monate nach Auftreten einer Reaktion, wenn keine unmittelbare Abklärung durchgeführt wurde. Hierbei wird zunächst die klinische Reaktion nach Symptomatik, zeitlichem Verlauf und vermuteten Auslöser zugeordnet. Diese Anamnese wird durch validierte Haut- und Labortests ergänzt, eine Arzneimittelprovokation wird nur angestrebt, wenn sie medizinisch vertretbar ist und andere diagnostische Maßnahmen als nicht zielführend erachtet werden. Die Vortestwahrscheinlichkeit erhöht sich deutlich, wenn eine Evaluation in der akuten Reaktion durchgeführt werden kann, eine Fotodokumentation vorhanden ist und bei Anwendung mehrerer Pharmaka eine Zeitstrahldokumentation angefertigt wird. Klinisch tritt eine Typ-1-allergische Reaktion mit Urtikaria, Asthma oder Anaphylaxie innerhalb einer Stunde und nur selten bis 6 Stunden nach Beginn der Zufuhr auf. Ein fixes Arzneimittelexanthem manifestiert sich innerhalb von 48 Stunden und nur selten später. Ein makulopapulöses Arzneimittelexanthem etabliert sich üblicherweise 4 bis 14 Tage nach Beginn der Arzneimittelzufuhr, bei einer wiederholten Reaktion allerdings bereits früher – hier sind durchaus 1 bis 4 Tage nach Beginn der Zufuhr realistisch. Eine systemische Reaktion wie akute exanthematische generalisierte Pustulose (AGEP) beginnt üblicherweise 1 bis 12 Tage nach Beginn der Arzneimittelanwendung, bei Antibiotikatherapie zumeist nach 1 bis 2 Tagen und bei anderen Arzneimitteln oft nach einer guten Woche. Ein SJS/TEN manifestiert sich etwas später und beginnt 4 bis 28 Tage nach Therapiebeginn, bei Allopurinol manchmal noch später. Ein DRESS-Syndrom etabliert sich erst 2 bis 8 Wochen nach Beginn der Arzneimittelzufuhr.
Auf weitergehende diagnostische Maßnahmen kann lediglich verzichtet werden, wenn die klinische Anamnese die Arzneimittelüberempfindlichkeit eindeutig bestätigt. Weiters muss darauf geachtet werden, für die Testung einzelner Arzneistoffe ausschließlich validierte Testsysteme zu verwenden. Für eine ganze Reihe von Substanzen existieren validierte Testkonzentrationen für die Hauttestung (nicht irritative Hauttestkonzentrationen häufig getesteter Arzneimittel finden sich in der S2k-Leitlinie, siehe QR-Code im Praxistipp),2 quantitative IgE-Assays gibt es nur für wenige Arzneistoffe.2 Wenn diese nicht verfügbar sind, kann eine Arzneimittelprovokation bei nicht vitaler Gefährdung des Patienten eine alternative Möglichkeit darstellen (Abb.1).2 Die diagnostische Abklärung mittels eines zellulären Assays ist bei gegebener Verfügbarkeit ressourcenschonender und gewinnt zunehmend an Bedeutung – insbesondere für den Basophilen-Aktivierungs-Test (BAT) ist die Datenlage mittlerweile sehr vielversprechend.
Abb. 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Arzneimittelüberempfindlichkeit (modifiziert nach Brockow K et al. 2023)2
Wann wird eine Arzneimittel-provokation durchgeführt?
Eine Arzneimittelprovokation kann dazu dienen, bei unklarer Anamnese eine Überempfindlichkeitsreaktion auszuschließen. Weiters kommt sie zur Bestätigung einer Diagnose bei entsprechender Vorgeschichte infrage, wenn eine weniger aufwendige standardisierte Diagnostik nicht zur Verfügung steht oder diese ein negatives beziehungsweise nicht überzeugendes Resultat erbracht hat. Eine Arzneimittel- provokation kann außerdem hilfreich sein zum Ausschluss einer Kreuzreaktion mit chemisch-strukturell ähnlichen Arzneiwirkstoffen. Diese ist am ehesten bei einer Gruppe nichtsteroidaler Antiphlogistika zu erwarten,7 wobei Paracetamol normalerweise toleriert wird, und bei Betalaktam-antibiotika in begrenztem Umfang (Abb. 2).8
Abb. 2: Ähnlichkeit von Seitenkettenstrukturen zwischen Betalaktamantibiotika zur Abschätzung wesentlicher Kreuzreaktivitäten (modifiziert nach Brockow K et al. 2025)8
Entscheidungsfindung zum diagnostischen Vorgehen
In der klinischen Routine wird das diagnostische Vorgehen davon abhängen,
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mit welchen klinischen Symptomen sich der Patient präsentiert,
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ob ein Kausalzusammenhang zwischen einer Arzneimittelanwendung und den klinischen Beschwerden realistisch erscheint,
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wie wichtig die Arzneisubstanz für das Management des Patienten ist und ob diese ersetzt werden kann,
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wie schwer die vorangegangene klinische Reaktion war und
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ob eine vitale Gefährdung für den Patienten bei wiederholter Reaktion realistisch erscheint.
Eine diagnostische Abklärung sollte innerhalb eines Jahrs durchgeführt werden, da die Wahrscheinlichkeit eines positiven Testergebnisses in einem Intervall von 12 bis maximal 60 Monaten nach der letzten Exposition zunehmend geringer wird.9 Gerade bei der Vielzahl vermuteter Antibiotikaallergien ist von einer erheblichen Überbewertung auszugehen, weswegen sich hier eine vorsichtige Interpretation der anamnestischen Angaben und gegebenenfalls ein strukturiertes Delabeling empfehlen (Abb.3).10
Abb. 3: Algorithmus zur Abklärung einer dokumentierten Penicillinallergie bei stationären Patienten (modifiziert nach Koch T et al. 2023)10
Literatur:
1 Wöhrl S et al.: Patients with drug reactions – is it worth testing? Allergy 2006; 61(8): 928-34 2 Brockow K et al.: Leitlinie (S2k): Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. https://register.awmf.org/assets/guidelines/061-021l_S2k_Allergologische-Diagnostik-Ueberempfindlichkeitsreaktionen-Arzneimittel_2024-02.pdf ; zuletzt aufgerufen am 28.5.2025 3 Pichler WJ et al.: Classification of drug hypersensitivity into allergic, p-i, and pseudo-allergic forms. Int Arch Allergy Immunol 2016; 171(3-4): 166-79 4 Demoly P et al.: International consensus on drug allergy. Allergy 2014; 69: 420-37 5 Tanno LK et al.: What can we learn in drug allergy management from World Health Organization’s international classifications? Allergy 2018; 73: 987-92 6 Ricci G et al.: Allergy is not the main trigger of urticaria in children referred to the emergency room. J Eur Acad Dermatol Venereol 2010; 24(11): 1347-8 7 Kowalski ML et al.: Hypersensitivity to nonsteroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs)– classification, diagnosis and management: review of the EAACI/ENDA and GA2LEN/HANNA. Allergy 2011; 66(7): 818-29 8 Brockow K et al.: Empfehlungen zum Prozedere bei angegebener Allergie gegen Penicillin-/Betalaktamantibiotika. Allergologie 2025; 48(3): 127-39 9 Romano A et al. Natural evolution of skin-test sensitivity in patients with IgE-mediated hypersensitivity to cephalosporins. Allergy 2014; 69(6): 806-9 10 Koch T et al.: Penicillinallergie: Sicher und effektiv ausschließen. Dtsch Ärzteblatt 2023; 120(18): 822-4
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